TÄGLICH WERDEN IN GANZ DEUTSCHLAND NEUE CAFÉS UND RESTAURANTS ERÖFFNET – UND AUCH WIEDER GESCHLOSSEN.Die Gründe für eine Schließung sind mannigfaltig, von naiver Planung über unterschätzten Aufwand bis hin zu behördlichen Hindernissen. Aber warum schließt jemand ein Restaurant, das seit fast zehn Jahren erfolgreich läuft, seinen Umsatz von Jahr zu Jahr steigert und das in der Stadt schon fast als „Traditionslokal“ beliebt ist?

Wer die „Insel“ in Essen betrat, fand sich sofort in einer maritim anmutenden Oase wieder. Helles Holz, nordisch-skandinavisches Flair, eine gemütliche Spielecke für die Kleinsten – ein freundliches und gleichzeitig auch familienfreundliches Ambiente, und immer frisch zubereitete Speisen. Die „Insel“ setzte auf Frontcooking vor den Augen der Gäste, auf Transparenz und Offenheit. Den Gästen einen „kleinen Urlaub zwischendurch“ zu ermöglichen, eine Auszeit vom Alltag – das war die Idee der Gründer Ralf Klümper und Christiane Elger, die 2007 eröffneten. Und das Konzept ging auf: Die Leute kamen gerne und zahlreich. Sie genossen ihre Zeit in dem Essener Restaurant zum Wohlfühlen, viele wurden Stammkunden. Die Presse lobte das Lokal und seine Speisen.

Ralf Klümper und Christiane Elger investierten extrem viel Zeit und Leidenschaft in ihr „Baby“, und der Betrieb lief trotz starker Konkurrenz in der Rüttenscheider Straße wirtschaftlich sehr erfolgreich. Dennoch schloss „Die Insel“ zum 1. April 2017. Die Entscheidung zu diesem Schritt war bereits zweieinhalb Jahre vorher gefallen, aber die Inhaber wollten ihren Betrieb langsam herunterfahren und alles geordnet abwickeln. Was war passiert?

Es war kein einzelner Anlass, sondern die Summe vieler Details und Entwicklungen, die zur Schließung der „Insel“ führte. Ralf Klümper hat mir erzählt, was ihn und seine Geschäftspartnerin zu diesem Schritt bewog, was er aus den vergangenen zehn Jahren „Insel“ an Erfahrungen mitnimmt und ob er noch einmal den Schritt in die Gastronomie wagen würde.

Fazit gleich vorweg:
Die drei wesentlichen Punkte, die die Betreiber dazu brachten, ihr Restaurant aufzugeben, waren:

  1. Immer mehr Arbeit bei gleich bleibendem Verdienst
    „Die Insel“ hatte ordentlich Gegenwind durch die Gastro-Konkurrenz vor Ort. Gleichzeitig stiegen die Personal- und Energiekosten immer weiter an. Trotzdem konnten die Betreiber den Umsatz konstant steigern – dies jedoch nur durch einen steigenden Einsatz an Arbeitszeit. Ralf und Christiane arbeiteten zuletzt wöchentlich jeweils 90 bis 100 Stunden – mit der Perspektive, dass die Arbeitszeit künftig noch weiter zunehmen wird. Darauf hatten beide keine Lust mehr. Sie wollten wieder mehr Zeit, Selbstbestimmung und Leben.
  2. Zu viele Auflagen und Hindernisse durch gesetzliche Bestimmungen
    Die Gastronomen werden, so empfindet es Ralf, vom Finanzamt unter Generalverdacht gestellt, vielen schlägt statt Unterstützung Misstrauen von Seiten der Behörden entgegen. Strenge und engmaschige Kontrollen schränken die kreativen Möglichkeiten enorm ein und verderben den Spaß an der Selbstständigkeit.
  3. Schwierigkeiten, verlässliche Mitarbeiter finden
    Ralfs Erfahrung ist, dass die Mitarbeiter – verallgemeinert gesagt – in den letzten Jahren unkonzentrierter und respektloser geworden sind. Von einigen wurden seine Geschäftspartnerin und er belogen oder betrogen. Darüber hinaus sind gute Mitarbeiter kaum mehr zu finden. Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes war daher wichtig, aber man hätte Ausnahmen für 450-Euro-Kräfte gewähren sollen, die keine Steuern zahlen und die ihr Gehalt somit brutto für netto ausgezahlt bekommen. Für steuerzahlende Gastro-Mitarbeiter ist der Mindestlohn widerum viel zu gering.

Ralf mit Geschäftspartnerin Christiane Elger. Foto-Shooting für einen Bericht der Tageszeitung kurz vor dem Ende der “Insel”. © Ulrich von Born

STECKBRIEF der ehemaligen "DIE INSEL"
Adresse: „Die Insel“, Rüttenscheider Straße, Essen

Öffnungszeiten: Mo-Fr von 9:00 – 22:00 Uhr, Sa/ So und Feiertage von 10:00 – 19:00 Uhr

Betreiber: Ralf Klümper und Christiane Elger

Eröffnung: im Juni 2007

Schließung: Ende März 2017

Geschäftsmodell: Familienfreundliches Ganztagsrestaurant mit nordisch-maritimem Ambiente

Claim / Anspruch: „Der kleine Urlaub zwischendurch“

Besonderes: Wenn man nach dem Urteil der Gäste geht, gab es in der „Insel“ die besten Waffeln der Stadt. Laut FEINSCHMECKER-Magazin gehörte die Insel zu den Top40-Frühstücksadressen in Deutschland. Das Städte-Online-Magazin PRINZ bescheinigte der „Insel“ den besten Brunch der Stadt.

Mitarbeiter: Meistens rund 15 Mitarbeiter auf 450 €-Basis. Zusätzlich arbeiteten beide Betreiber ganztags – oder eher 2mal ganztags.

Größe: Gastraumfläche inkl. Küche (Frontcooking; nur kleine weitere Vorbereitungsküche) knapp über 100 qm.

Kapazität: 60 Sitzplätze innen, 15 Sitzplätze draußen

Finanzierung: 25% Eigenkapital, 75% Fremdkapital durch Bankkredit und 80% davon wiederum von Bürgschaftsbank finanziert.

Umsatzverteilung: 65% Food, 35% Beverages (gestartet mit F 40%, B 60%). Das sprach für die Küche, war aber nicht unproblematisch, weil die Marge bei Food geringer ist. Um den gleichen Gewinn zu halten, musste der Umsatz stetig steigen. Das ist zehn Jahre lang gelungen.

10 Jahre warst du mit „Die Insel“ am Start. Wenn du jetzt zurückschaust, wie und wo klaffen deine Erwartung und die Realität (am weitesten) auseinander?

Ich hätte nicht erwartet, dass die Anlaufphase so lange dauern wird. Bei uns waren es so runde zwei Jahre. Im Winter lief es von Anfang an gut. Aber die Sommer waren wegen der verhältnismäßig wenigen Außenplätzen ein großes Problem. Man benötigt als Gründer oft ein großes Durchhaltevermögen und finanzielle Rücklagen, um die schwierigen Zeiten zu überstehen.

Unterschätzt haben wir außerdem, wie wichtig eine ausreichende Zahl an Außenplätzen ist. Vor zehn Jahren war das noch nicht sooo wichtig. Aber in den letzten Jahren hat die Bedeutung von Außenplätzen enorm zugenommen. Heutzutage kann man bei gutem Wetter ausschließlich mit Außenplätzen Umsatz machen. Bei uns lag das Verhältnis von Außen- zu Innenplätzen bei 1:4. Ich würde jedem Gastro-Gründer raten, mindestens die Hälfte der Innenplätze auch als Außenplätze anzustreben oder noch besser 2/3 der Innenplätze.

Unser größtes Hindernis war aber sicher, dass unser Wissen über die deutschen Behörden und die Realität ziemlich weit auseinander klafften. Wir mussten erfahren, dass die Behörden einen an keiner Stelle unterstützen. Man wird ausschließlich als zu melkende Kuh gesehen. Zusätzlich wird man in der Gastrobranche von den Behörden – allen voran von den Finanzämtern – wie ein Schwerverbrecher behandelt. Das ist äußerst unangemessen angesichts dessen, was die Gastronomen tagtäglich leisten. Klar, schwarze Schafe müssen bekämpft werden. Aber gewisse Pauschalierungen ertrage ich nicht mehr.

Unser größtes Hindernis war aber sicher, dass unser Wissen über die deutschen Behörden und die Realität ziemlich weit auseinander klafften.

Würdest du mit deinen heutigen Erfahrungen nochmals eine Gastro gründen?

Klares Jein! Wenn mir damals jemand gesagt hätte, was auf uns zukommt, hätte ich ihm eh nicht geglaubt. So ergeht es uns umgekehrt heute auch, wenn wir von unseren Erfahrungen erzählen: Das glaubt einem niemand. In den 70er und 80er Jahren konnten Gastronomen i.d.R. gut bis sehr gut von ihrer Selbständigkeit leben. Das ist heute nur noch sehr selten der Fall.

Es gibt aber Gastro-Bereiche, in denen sich die Gründung noch lohnt. Gut verdienen werden allerdings nur die, denen es gelingt, recht schnell eine (zumindest kleine) Kette aus ihrer Einrichtung zu machen und irgendwann zu verkaufen. In kleinen Individualgastronomien muss man sich hingegen eher auf einen ständigen Überlebenskampf einstellen, weil man die Umsätze gar nicht so schnell steigern kann, wie die Behörden sie einem wieder wegnehmen.

Mal angenommen, du würdest wieder eine Gastro gründen, was würdest du denn mit deinem heutigen Wissen anders machen?

Wir hatten mit der „Insel“ schon vieles richtig gemacht. Wir gehörten ja zur Gattung der Erlebnisgastronomie, und da ist das Wichtigste, dem Gast zu einem Erlebnis zu verhelfen. Unseren Gästen einen „Urlaub“ zwischendurch an der norddeutschen Küste mitten im Ruhrpott zu ermöglichen – das war unser Ziel, und das hat gut funktioniert.

Ansonsten haben wir unsere Gäste mit unserer Vielfalt und einigen Besonderheiten manchmal wohl schlichtweg überfordert. Die Zukunft gehört den monothematischen Gastros. Eine Vielfalt wird künftig eher durch Foodcourts (wie in Einkaufzentren), Markthallen (z.B. Eataly oder Markthalle 9), Foodtruck-Festivals und Gourmetmeilen gewährleistet. Jede einzelne Einheit monothematisch, aber als Ganzes vielfältig. Gemischtwarenläden gehören eher der Vergangenheit an.

Wenn ich mich in der Gastro noch einmal selbständig machen sollte, dann höchstens als Leiter einer solchen Markthalle – ohne Führungsverantwortung im operativen Geschäft!

Wie geht es dir heute, neun Monate nach der Schließung?

Mir geht es sehr gut! Die letzten drei Monate in „Der Insel“, nachdem wir die Schließung bekannt gegeben hatten, waren ja schon wie im Rausch. So konnten wir unseren Schlussstrich überglücklich und erleichtert ziehen. Körperlich und gesundheitlich haben wir uns auch gut erholt.

Und was machst du jetzt?

Beruflich geht es bei mir mit  klüger consulting weiter. Ich mache mit meinem Gastro-Wissen nun das, was ich am liebsten mag, nämlich Gastro-Gründer beraten. Ich habe ja nun zehn Jahre am eigenen Leib erlebt, was den Gründern noch bevorsteht. Es muss ja nicht jeder vor die gleichen Wände rennen. Meine operativen und strategischen Kenntnisse sind da Gold wert. Aber auch Startups aus anderen Branchen liegen mir am Herzen.

Allerdings möchte ich nichts mehr überstürzen. Ich habe lange genug durchgearbeitet; jetzt möchte ich mir endlich einmal Zeit lassen. Und das, obwohl mein Antrieb meine Ungeduld ist. 😉
Aber ich bin offen für Vieles und nicht mehr so eingeschränkt, wie zu “Insel”-Zeiten. So halte ich z.B. auch Seminare für den DEHOGA und auch die redaktionelle Arbeit für Fachmedien macht mir viel Spaß. Mal schauen, was da noch alles auf mich zukommt. Ich bin gespannt.

Was sind deine drei Tipps für zukünftige Gründer?

  1. Plant eine längere Anlaufphase ein. Bei vielen Gründungen dauert es ein bis zwei Jahre, bis es rund läuft. Das ist bei der Liquiditätsplanung unbedingt zu berücksichtigen. Falls es schneller funktioniert, freut euch einfach ein Loch in den Bauch.
  2. Für alle die, die in der Gastro bereits angestellt waren: Glaubt nicht, dass ihr auch nur annähernd genug über die Gastronomie wisst, um einen eigenen Laden zu führen. Das ist eine völlig andere Hausnummer. Ihr müsst mehr Unternehmer als Gastronom sein.
  3. Lasst euch von erfahrenen Gastro-Beratern coachen. Lernt aus den Erfahrungen anderer, hört ihnen zu, macht nicht die gleichen Fehler wie andere. Natürlich ist jedes Gastro-Unternehmen einzigartig, aber manche Erkenntnisse gelten allgemein. Seid also so klug und holt Euch kompetente Unterstützung.

Ein ausführliches Interview über die Gründe der Schließung der „Insel“ findet sich hier.

Ich spreche mit vielen Food- und Gastrogründern. Der Behördenschungel und seine teilweise gravierenden Auswirkungen z.B. auf die Gründungskosten, sind immer wieder Thema. Ein Nicht-Wissen kann verheerende Auswirkungen haben. Lies dazu auch meinen Blogpost Die Stadt München und ihre Stellplatzverordnung – warum Petra Dahm ihr Laden-Café „my fable“ geschlossen hat.

 

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